«Man braucht Geduld»: Zu Besuch im Campo Bahia

Santo André – Das WM-Quartier der deutschen Fußball-Nationalelf, das
Campo Bahia, ist heute ein Luxus-Resort mit oft wenigen Gästen. Damit sich die Lage bessert, setzt man nun auf mehr «Gauchos» – Gäste aus Argentinien.

Sie müssen ja nicht unbedingt im Bett von Mario Götze schlafen. Der Schütze des Weltmeister-Tores gegen Argentinien war hier im Erdgeschoss des Campo Bahia einquartiert. Eine gerahmte Götze-Karikatur an der Zimmertür erinnert an den berühmten Gast.

Acht Touristen sind an diesem sonnigen Tag in der malerischen Anlage mit Pool, Palmen und Privatstrand. Es gibt aber Platz für bis zu 120 Gäste. Hier bekommt man naturnahe Erholung; die ursprüngliche, fast paradiesische Umgebung ist von Fischerei geprägt. Und anders als in Rio de Janeiro ist die Gegend sehr sicher. 70 Mitarbeiter sind da, die Gästeauslastung liegt im Schnitt bei nur 40 Prozent. Um in die Gewinnzone zu kommen, brauche man etwa 70 Prozent, heißt es vor Ort – von offizieller Seite werden solche Zahlen in Abrede gestellt.

Eigentümer ist der Münchner Modeunternehmer Christian Hirmer. Er hat einen zweistelligen Millionenbetrag investiert. Dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) um Manager Oliver Bierhoff konnte die Idee eines WM-Quartiers in einer abgeschiedenen Gegend schmackhaft gemacht werden, das Campo wurde in wenigen Monaten gebaut. Ärger machen aber bis heute Provisions-Streitigkeiten mit dem damaligen Statthalter.

In Sachen Auslastung ist die Erreichbarkeit das größte Problem. Es gibt kaum Direktflüge von Rio de Janeiro in das 1200 Kilometer weiter nördlich gelegene Porto Seguro. In Rios Maracanã traf Götze an jenem 13. Juli 2014 in der 113. Minute der Verlängerung im großen Finale gegen Argentinien per Direktabnahme nach Flanke von André Schürrle.

Als Erfolgsgeheimnis wurde die Ruhe und Abgeschiedenheit des Campo Bahia gepriesen. Es liegt 35 Kilometer von Porto Seguro entfernt, im Fischerdorf Santo André. Hierhin muss man mit der Fähre über den Rio João de Tiba übersetzen – auch Götze und Co. kennen das nur zu gut.

Danach geht es weiter über eine staubige Schlaglochpiste, bis etwas unscheinbar hinter einem großen Holztor das Campo Bahia liegt. «Catch your dream», «Fange deinen Traum» – steht als Slogan am Eingang. Ein Blick durch einen riesigen Traumfänger, gefertigt von den Pataxó-Indianern, gibt den Blick frei auf die Bungalows. Es ist eine liebevoll gepflegte Anlage, sie gehört zu den Small Luxury Hotels of the World, einem Zusammenschluss von Boutique-Hotels.

An jedem Zimmer, in dem die Deutschen 2014 nächtigten, hängt eine etwas eigenwillige Karikatur, gefertigt von dem Zeichner Cássio Loredano. Götze hat dicke Pausbacken, Thomas Müller grinst breit, Trainer Joachim Löw hat ein Glupschauge. «Das eine oder andere Bild haben Gäste schon mitgehen lassen», berichtet ein Mitarbeiter. Aber man hat die Karikaturen in Kopie, so dass sie schnell wieder hängen.

60 Prozent der Gäste stammen aus Brasilien, 30 Prozent aus Europa, 10 Prozent aus den USA. Letztlich leidet aber auch eine der schönsten Ecken an der Atlantik-Küste unter der tiefen Rezession in Brasilien mit einem Wirtschaftseinbruch um 7,4 Prozent seit 2015. Und dann machte 2016 noch die Angst vor dem Zika-Virus einen Strich durch die Rechnung. Man setzt verstärkt auch auf Firmenevents und Hochzeiten. Und die neueste Hoffnung liegt eben im Tourismus aus Argentinien.

«Es gibt jetzt zwei Direktflüge pro Woche von Buenos Aires nach Porto Seguro», sagt Iracema Keseberg, Marketingchefin des Resorts. Zudem noch Flüge von Córdoba in diese malerische Gegend im brasilianischen Bundesstaat Bahia. «Wir hoffen auf mehr Touristen aus Argentinien.»

Die werden hier aber auf Schritt und Tritt an die Niederlage erinnert werden. In der Bar und im Restaurant hängen riesige Lampen mit deutschen WM-Szenen und Helden wie Franz Beckenbauer oder Gerd Müller. Roger Kalab, ein Onkel Hirmers, lebt hier dauerhaft. Er ist der General-Manager des Resorts und betont, dass auch in den Modehäusern verstärkt auf Urlaub im Campo Bahia aufmerksam gemacht werden soll. Und das Campo werde zunehmend zum Anlaufpunkt von Film- und Musikstars. In den südamerikanischen Sommermonaten sei man meist komplett ausgebucht. «Es geht bergauf, aber man braucht Geduld.»

Und wie sieht es sonst in Santo André aus? Es gibt Klagen, dass die Versprechen von sozialem Engagement kaum erfüllt worden seien. Und es gibt viele Schilder mit dem Schriftzug «Vende-se»: «zu verkaufen». Der Ort ist in einem Dornröschenschlaf – ein ursprüngliches Erlebnis, fernab der sonstigen Party-Hochburgen an der Küste. Auf dem einzigen Bolzplatz kicken Schulkinder, der weiße Strand ist menschenleer.

Viviana Romero Dinnet hat mal wieder keine Kundschaft in ihrem Laden, in dem sie Kunstartikel verkauft. Sie ist dennoch froh, dass es das Campo Bahia gibt. Sonst gäbe es so gut wie keine Touristen – und es bietet einigen hier Arbeit. Sie bekommt leuchtende Augen, wenn sie in Erinnerungen an die aufregenden Monate im Juni/Juli 2014 schwelgt.

Sie war die Chefin der Putztruppe. «Müller – maravilhoso», sagt sie, «wunderbar». Und wie hieß noch der mit den blauen Augen, der Lustige? Ach ja, Lukas (Podolski). «Que lindo», «was ein schöner Kerl». Und der Joaquim (Löw): «ein echter Gentleman». Wenn die Spieler zum heute zurückgebauten Trainingsplatz fuhren, wurde Viviana zur Diktatorin.

«Ich war streng mit meinen Damen.» Ruckzuck mussten Betten gemacht werden. Nie wieder hat sie so viel verdient. «Dummerweise habe ich alles verjubelt.» Aber hier habe man etwas, was wichtiger als Geld sei, sagt sie – und schaut aufs Wasser: «Wir leben im Paradies.»


(dpa)

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