Tango in Buenos Aires

In Buenos Aires hat sich in den letzten Jahren eine interessante Mutation des „Homo touristicus“ entwickelt:

Der Tango-Tourist.

Dieser, meist ledige, 30- bis 40-jährige Mitteleuropäer beachtet die Sehenswürdigkeiten der 13-Millionen-Metropole gar nicht. Die Strände sieht er nur vom Flieger aus. Falls er schon mal von Borges gehört hat, dann nur, weil der argentinische Schriftsteller gelegentlich auch was über den Tango geschrieben hat.

Er quartiert sich in einem billigen Hotel ein; für die nächsten Wochen wird er die Zimmermädchen am Reinemachen hindern, weil er tagsüber schläft.

Die nächsten Wochen? Aber sicher – Tangotouristen verbringen gerne ihren Jahresurlaub in Buenos Aires.

Sie suchen die zahlreichen Milongas, die traditionellen Tanzveranstaltungen im Hafenviertel, wo der Tango vor rund 150 Jahren zwischen Armut und Niedertracht geboren wurde.

Am Nachmittag üben sie vielleicht noch eine Stunde mit einem professionellen Tanguero, dann stürzen sie sich in die erste Milonga, die gegen 18 Uhr anfängt. Die letzte endet um 6. Auf Milongas dreht sich alles um den Tango; hier wird starker, schwarzer Kaffee getrunken.

Zwölf Stunden lang tanzen, umherwirbeln, die Welt vergessen – Das „world wide web ist voller Seiten, in denen sich tangobegeisterte Buenos-Aires-Touristen austauschen.

Da ist die Grundschullehrerin, die einmal im Jahr in den großen Ferien für sechs Wochen in die argentinische Hauptstadt fliegt und nur noch tanzt, bis sie, völlig erschöpft, nach hause zurückkehrt und mit Erstklässlern wieder das Alphabet übt.

Oder der Bankkaufmann, der nicht nur seinen Jahresurlaub, sondern auch den größten Teil seines Ersparten in die Handvoll durchtanzter Nächte steckt, die ihm so wichtig sind.

Die Jurastudentin, die Freund, Hund und Arbeit jedes Jahr drei Wochen lang in Deutschland lässt, um ihren argentinischen Urlaub wie im Rausch durchzutanzen.

So entwickelt sich, ganz nebenher, eine kleine, passionierte Tourismusindustrie rund um Europäer, die ein wenig zuviel Rhythmus im Blut haben, als dass sie ihn in unseren Tanzschulen lassen könnten …

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