Irland

Im Süden sah ich zwei gesattelte Esel, angebunden an den Fahrradständer eines Supermarkt-Parkplatzes. Im Westen sprangen sommersprossige Kinder bei 5 Grad Außentemperatur gut gelaunt ins Meer. In Dublin prügelten sich zwei rothaarige Zwerge um ein Mädchen.

Irland ist, was Klischees betrifft, ein Grenzfall: Die meisten treffen zu.

Natürlich ist die Insel nicht ganz so abgelegen wie Island. Aber, wollte man die Bevölkerungsdichte an europäische Durchschnittswerte anpassen, man müsste schon die Schafe mitzählen.

Wer auf die Autobahn auffährt, kann die riesigen Warnschilder nicht übersehen: Hier keine Fahrradfahrer! Und keine Tiere!

Der gewaltige wirtschaftliche Aufschwung der 90er (gelegentlich als „Celtic Tiger“ personalisiert) steckt den armen Iren noch in den Gliedern. Nicht alles hat den Sprung in die neue Zeit geschafft – und gerade das macht die grüne Insel für Touristen so attraktiv.

Wer jetzt nach Irland fährt, hat eine gute Chance, noch etwas von der ursprünglichen Eiré zu sehen: Die torfgedeckten Cottages zum Beispiel, oder die Gaeltacht-Gebiete, in denen bis heute noch Gälisch gesprochen wird; ferner den irischen Regen (angeblich gibt es auf Gälisch mehr Wörter für Regen, als die Inuit Wörter für Schnee haben), die traditionellen, kleinen Pubs, die ein oder andere Klosterruine (eher öfter), die ein oder andere Hunderennbahn (eher öfter).

Wer jetzt nach Irland fährt, wird mit echten Iren ins Gespräch kommen, und das heißt, dass er die allerschönsten Komplimente bekommen wird – wenn auch in einer Sprache, die seinem Schulenglisch nicht besonders ähnelt. Er (oder sie) wird am Dublin Pub Crawl (etwas Vergleichbares gibt’s übrigens in Berlin) teilnehmen können, oder einfach ziellos in die Burroughs fahren, auf den Klippen von Moher stehen, die Klosterruine von Monasterboice besichtigen, das Book of Kells bewundern, in Galway Austern mit Guinness kosten oder durch das malerische Cork schlendern.

Falls er Pubs besucht, wird er bald feststellen, dass eigentlich jeder Ire ein Instrument beherrscht und ein Lied singen kann, dass man in Runden zahlt, und dass die Kopfschmerzen am nächsten Morgen es doch eigentlich wert waren, and weren’t they?

Er wird merken, dass Iren sich benehmen, als wären sie Protagonisten in ihren eigenen Biopics – nicht ohne Drama, nicht ohne Witz, aber immer mit einem Schmunzeln. Und spätestens, wenn er sich dann selbst so aufführt – hat’s ihn erwischt.

Dann hat er das alte irische Sprichwort bestätigt:

Ein Fremder ist nur ein Freund, den man noch nicht kennt.